persönlicher Kommentar
Fernwärme als Heilsbringer?
Betrachtungen zum ungünstigen Beispiel Lerchenberg
Hartmut Rencker
Fernwärme ist trotz mancher Vorzüge nicht der große Heilsbringer, für den sie gepriesen wird. Es kommt sehr auf die eingesetzte Energie, die Leitungswege, die Vorlauftemperatur, die Abnahmedichte und die Art der Nutzung an.
Überwiegend wird fossile Energie eingesetzt, fast regelmäßig per Greenwashing geschönt. Oft wird Biogas aus eigens angepflanztem Mais gebucht, das aber wegen mehrerer hundert Kilometer Distanz zum Einspeiser gar nicht in der Leitung sein kann. Mit ÖKO-Strom ist das nicht viel besser. Gerne werden von herkömmlichen Verbrennungsmotoren angetriebene Stromgeneratoren genutzt. Diese kommen wegen der kombinierten Gewinnung von Wärme und Strom immerhin auf einen hohen Gesamt-Wirkungsgrad, aber auch das ist Greenwashing. Denn die Abwärme ist weniger als Abfall der Stromgewinnung zu sehen, vielmehr ist der Strom der Abfall der primär angestrebten Wärmegewinnung. Positiv ist, wenn Abwärme aus Müllverbrennung oder Industrie genutzt werden kann. Die nur laue Abwärme von Rechenzentren ist nicht unmittelbar nutzbar und muss erst durch Wärmepumpen, die wiederum Strom verbrauchen, auf ein höheres Niveau gebracht werden.
Für die verschiedenen Stadtteile von Mainz werden abhängig von der überwiegend eingesetzten Energie unterschiedliche Primärenergiefaktoren angegeben. Alle sind zum potemkinschen Dorf mutiert. Nur durch Greenwashing können geschönte Werte hingedeichselt werden. Ganz schlimm ist es auf der Exklave Lerchenberg. Die angebliche Beimischung von (bayerischem) Biogas ist weder umweltverträglich noch real in der Leitung. Selbst wenn man die Zaubernummer mit dem Biogas hinnehmen will, muss dann andernorts die buchhalterische Abzweigung durch importiertes fossiles Gas ersetzt werden. Verbrannt wird fossiles Erdgas. Dazu kommt noch die begrenzte Vorlieferung von teilweiser Auskoppelwärme aus dem Stadtnetz über eine Fernleitung.
Ärgerlich ist, dass die Kosten in anderen Versorgungsgebieten nur halb so hoch sind wie auf dem Lerchenberg. Hier schweigen sich Heizwerk und die politisch Verantwortlichen aus, obwohl es Erklärungen geben mag. Bei dichter Bebauung mit Abnahme großer Wärmemengen fallen die unvermeidlichen Leitungsverluste weitaus weniger ins Gewicht als auf dem weithin flächigen Lerchenberg mit geringer Abnahmedichte. Günstig sind zB die Neustadt oder der Kästrich. In den versorgten Teilen von Bretzenheim sind die Strukturen dem Lerchenberg ähnlich und dennoch sind die Wärmepreise dort niedriger. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Stadtwerke weitgehend mit Auskoppelwärme der Müllverbrennung versorgt werden wogegen der Lerchenberg trotz teilweiser Vorlieferung durch eine Fernleitung fast total auf importiertes Gas angewiesen ist.
Wegen der Diskrepanz zwischen dem Lerchenberg und anderen Versorgungsgebieten läuft bei der Kartellbehörde RLP ein Verfahren zur Klärung, ob ein Monopolmissbrauch vorliegt. Eine Abmahnung ist eher nicht zu erwarten, wohl aber eine Klarstellung, warum es auf dem versorgungstechnisch ungünstigen Lerchenberg so teuer sein muss. Zu berücksichtigen ist auch, dass in den letzten Jahren viel ins Heizwerk und das Netz investiert wurde und noch wird. Die Kosten sind ein betriebswirtschaftlicher Faktor.
Besonders hoch ist die Verlustrate im heizungsfreien Sommer, wenn ein weit verzweigtes, voluminöses Netz auf 65-70°C gehalten werden muss, um ein paar Liter Brauchwasser auf legionellensichere Temperatur zu bringen. Dieses Problem gibt es natürlich bundesweit, nicht nur bei Fernwärme, sondern in Millionen Häusern, die für ein paar Liter Brauchwasser die Heizungsanlage im Sommer durchbrummen lassen. Alleine auf dem Lerchenberg fallen im Jahr 10 Gigawatt Leitungsverlust an. In welchem Verhältnis der Verlust zur Entnahme steht, wird unter dem Teppich gehalten. Das Missverhältnis kann nur abenteuerlich sein. Vor allem im entnahmeschwachen Sommer dürfte es mehr Verlust als Entnahme geben. Diese Verluste fließen in den Arbeitspreis ein, der mit über 20 Cent kWh ungewöhnlich hoch ist, unter Berücksichtigung der Grundkosten von rund 800 bis 1000 Euro im Jahr pro Reihenhaus ist Fernwärme sogar teurer als Strom.
Ein wenig bekannter Faktor sind die zusätzlichen hausinternen Warmwasser-Bereithaltungsverluste von durchschnittlich 12 kWh täglich = 1000 Euro im Jahr für ein einziges Reihenhaus. Es liegt nicht alleine am Heizwerk, vielmehr bedarf das gesamte System einer Analyse bis hin zur Installation bei den Endabnehmern wie unisolierte oder sogar blank einzementierte, überdimensionierte Leitungen. Ganz fatal ist die auf Wärmeverluste angewiesene Schwerkraftzirkulation. Nur wenige Siedler haben auf zeitgesteuerte Pumpen umgestellt um die Verluste etwas zu reduzieren. Die Verschwendung kommt Verbraucher und Natur teuer zu stehen.
Es stellt sich die Frage, ob im an regenerativer Energie reichen Sommer elektrisches Aufheizen oder Nachheizen verlustarmer "kalter" Fernwärme umweltgerechter wäre. Am besten wäre, sich von der Boiler-Legionellenzüchtung ganz zu verabschieden, auf elektr. Durchlauferhitzer umzustellen und die Wärmeversorgung von Mai bis September ganz einzustellen. In der Kernstadt, die von Abwärme partizipiert, mag diese Überlegung vernachlässigbar sein, denn ob die industrielle Abwärme im Leitungsnetz verschwindet oder in den Rhein gepumpt wird, macht keinen Unterschied, wohl aber auf der fast ausschließlich fossil beheizten Versorgungsinsel Lerchenberg.
Das Problem der systembedingten Verschwendung in den Griff zu kriegen, ist schwierig. Es muss mutig neu gedacht werden. Dazu bedarf es politischer Vorgaben.
Es wird gepredigt, Energieverschwendung zu vermeiden, aber keiner will den Balken im eigenen Auge sehen. Vor allem die Politik steht unter Handlungsdruck, passende Rahmenbedingungen vorzugeben. Wie leicht könnte Energieeinsparung sein, man muss nur über eingefahrene Gewohnheiten nachdenken. Wir könnten ohne Komfortverlust mit der halben Energie auskommen. Nur eingesparte Energie ist gute Energie.
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